Resistenz am Aktienmarkt

27.10.2020 –Special Report. Allzeittief bei der türkischen Lira: Der Kurs der schwindsüchtigen Devise ist am Montag unter die vielbeachtete Marke von 8 Lira zum Dollar gerutscht. Insgesamt hat die Währung gegenüber dem Greenback in den vergangenen drei Monaten um 15 Prozent nachgegeben. Auch zum Euro markierte die Lira mit 9,53 Lira gerade ein Allzeittief. Ein Ende des Tiefenrausches ist nicht abzusehen. Denn Ankara rasselt im Mittelmeer weiter mit dem Säbel und Corona hat den türkischen Tourismus gekillt.

Imperialer Größenwahn

Die Türkei hat einseitig ihr maritimes Territorium ausgeweitet und bohrt nach Erdgas in griechischen Gewässern. Möglicherweise steht bald ein Krieg bevor mit Hellas, aber auch mit Zypern und Israel. Denn die Verbündeten wollen eine Gaspipeline nach Italien bauen, die genau durch das nun von Ankara beanspruchte Gebiet läuft. Wegen der Einmischung im lybischen Bürgerkrieg droht auch ein Waffengang mit Ägypten. Zudem zündelt die Türkei in Berg-Karabach an der Seite von Aserbaidschan. Die Türkei hat sich mit Frankreich überworfen. Amerikanische Sanktionen drohen wegen des Einsatzes des russischen Raketen-Abwehrsystems S-400.

Schwund der Devisenreserven

Alles ziemlich heftige Belastungen für die leere Staatskasse. Investoren fliehen aus dem Land, Anleger wenden sich ab. In diesem Jahr haben ausländische Investoren türkische Aktien und Anleihen im Wert von 13,3 Milliarden Dollar verkauft, meldet die Nachrichtenagentur Bloomberg – das sei die größte Summe seit etwa 2005 gewesen. Ergo hat Ankara seine Währungsreserven verbrannt, um den Kurs der Lira zu stützen. Ohne Erfolg. Alleine in diesem Jahr ist der Wert der Lira um mehr als 25 Prozent gefallen. Nur der brasilianische Real war noch schwächer. Seit dem Frühjahr 2008 hat die Lira gegenüber dem Dollar die Hälfte ihres Wertes verloren, seit der Finanzkrise 85 Prozent.

Hin und Her in der Geldpolitik

Zudem fehlt es der türkischen Notenbank an Kontinuität. die Anleger wissen nicht mehr, wie sie den erratischen Kurs des autoritär geführten Staates traden sollen. Vorige Woche hatte die türkische Zentralbank den Markt geschockt, indem sie wider Erwarten nicht die Zinsen signifikant anhob. Der Konsens unter 27 Analysten war im Schnitt, dass die CBRT den Zinssatz um 175 Basispunkte auf 12 Prozent setzt – und dass die Lira danach stark zulegt. Doch vorigen Donnerstag ließ die Notenbank den Kurs unter Hinweis auf eine sich aufhellende Inflationserwartung unverändert.

Lauter Überraschungen

Noch am 24. September hatte die Notenbank Forex-Trader mit einer Anhebung des Zinssatzes um 200 Basispunkte überrascht. Die Zentralbank hob die Leitzinsen völlig unerwartet von 8,25 auf nun 10,25 Prozent an – dies war die erste Zinsanhebung seit rund zwei Jahren. Bemerkenswerterweise geschah dies offenbar gegen den Willen von Staatspräsident Recep Erdogan – der will, dass billige Kredite das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Noch überraschender war die Begründung der Währungshüter: „Die Inflation ist einem Pfad gefolgt, der höher als erwartet war.“ Die Schritte zur Straffung der Geldpolitik müssten verstärkt werden, um die Inflationserwartungen einzudämmen. Innerhalb von einem Monat hat sich also die Lage gedreht – wer’s glaubt, wird seelig.

Kurz vor dem Ramschniveau

Kein Wunder, dass sich die Investoren angesichts der seltsamen Geldpolitik verärgert abwenden. Die Rating-Agentur Moody’s reagierte vorigen Monat mit einer Herabstufung der Bonität. Staatsanleihen erhielten die Kreditwürdigkeit des Levels B2, so tief wie noch nie in der Landesgeschichte. Vorher lagen sie auf dem Level B1. Von 21 Stufen, die Moody’s bei der Bewertung von Staaten kennt, rutscht die Türkei damit auf die 15. Stufe ab. Das Land steht jetzt auf einem Level mit Ländern wie Sri Lanka und Tunesien und sogar etwas schlechter als Ruanda, Bahrain und Albanien. Damit steht die Türkei jetzt nur noch zwei Stufen über dem „Ramschniveau“, das ab dem Rating Caa1 greift.
Das Urteil von Moody’s fiel verheerend aus: „Politischer Druck, eine begrenzte Unabhängigkeit der Zentralbank, langsame Reaktionen der Verantwortlichen und ein Mangel an Vorhersagbarkeit ihrer Reaktionen erhöhen die Wahrscheinlichkeit ungeordneter Wechselkurse und wirtschaftlicher Anpassungen.“

Vielleicht hilft das Ausland

Unser Fazit: Wir hatten diese Entwicklung vorausgesehen. Es ist nicht absehbar, wie sich dieser Trend umkehren soll. Kriege, Corona, eine seltsame Geldpolitik. Viel spricht dafür, dass bald eine Währungsreform ansteht, falls der Kursverfall weitergeht. Die Türken reagieren darauf vorausschauend – das „Wall Street Journal“ berichtete jüngst von einem wahren Ansturm auf Gold. Der Kaufrausch sei ungewöhnlich, weil die Menschen normalerweise am Allzeithoch Kasse machen. Das Blatt registrierte auch einen Run auf Safes für den Einbau in den eigenen vier Wänden. Die Einwohner erwarten also offenbar einen Bankencrash. Tatsächlich warnte jüngst die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, dass die Banken die staatlich forcierte Ausweitung der Kreditvergabe zur Ankurbelung der Wirtschaft womöglich mit hohen Forderungsausfällen bezahlen müssten.
Die Lira-Talfahrt könnte allerdings durch eine kleine Geldspritze aus Russland oder China gestoppt werden. Falls Moskau oder Peking Lira kaufen oder Dollar-Kredite bereitstellen. Trader und Investoren sollten also die News auf solch eine Entwicklung screenen. Die Bernstein-Bank wünscht viel Erfolg!


Wichtige Hinweise:

Der Inhalt dieser Publikation dient ausschließlich allgemeinen Informationszwecken. Es handelt sich in diesem Kontext weder um eine individuelle Anlageempfehlung oder -beratung, noch um ein Angebot zum Erwerb oder der Veräußerung von Wertpapieren oder anderen Finanzprodukten. Der betreffende Inhalt sowie sämtliche enthaltenen Informationen ersetzen in keiner Weise eine individuelle anleger- bzw. anlagegerechte Beratung. Jegliche Darstellungen oder Angaben zu gegenwertigen oder vergangenen Wertentwicklungen der betreffenden Basiswerte erlauben keine verlässliche Prognose oder Indikation für die Zukunft. Sämtliche aufgeführte Informationen und Daten dieser Publikation basieren auf zuverlässigen Quellen. Die Bernstein Bank übernimmt jedoch keine Gewähr bezüglich der Aktualität, Korrektheit und Vollständigkeit der in dieser Veröffentlichung aufgeführten Informationen und Daten. An den Finanzmärkten gehandelte Wertpapiere unterliegen Kursschwankungen. Ein Contract for Difference (CFD) stellt darüber hinaus ein Finanzinstrument mit Hebelwirkung dar. Der CFD-Handel beinhaltet vor diesem Hintergrund ein hohes Risiko bis zum Totalverlust und ist damit unter Umständen nicht für jeden Anleger geeignet. Stellen Sie deshalb sicher, dass Sie alle korrelierenden Risiken vollständig verstanden haben. Lassen Sie sich gegebenenfalls von unabhängiger Seite beraten.

CFD sind komplexe Instrumente und gehen wegen der Hebelwirkung mit dem hohen Risiko einher, schnell Geld zu verlieren. 68% der Kleinanlegerkonten verlieren Geld beim CFD-Handel mit diesem Anbieter. Sie sollten überlegen, ob Sie verstehen, wie CFD funktionieren, und ob Sie es sich leisten können, das hohe Risiko einzugehen, Ihr Geld zu verlieren.