Endspiel für die türkische Lira

Turkish lira

06.08.2020 –Special Report. Déjà Vu am Devisenmarkt: Die türkische Lira taucht in nie gesehene Tiefen ab. Dabei hatte Ankara zuvor interveniert – und einige Shorts mit einer fulminanten Anhebung des Übernacht-Zinssatzes niedergemäht. Doch offenbar stecken nicht Spekulanten hinter dem Preisverfall. Sondern Investoren, die dem Land den Rücken kehren. Wir beleuchten die Hintergründe.

Die Kernschmelze hält an

Die türkische Lira schwächelt schon wieder: Zuletzt hielt sich USDTRY am Allzeittief von 7,2671, auch EURTRY notierte bei rekordverdächtigen 8,6190. Zuvor hatte sich die Lage bei USDTRY etwa seit Anfang Juni beruhigt, die Lira lief bei rund 6,85 Lira je Dollar seitwärts. Die türkische Zentralbank hatte in den vergangenen Monaten de facto den Anleihemarkt verstaatlicht.
Doch am Montag vor einer Woche geriet die Lage das erste Mal außer Kontrolle: Die Lira rutschte innerhalb weniger Minuten ab bis auf 6,9835. Brendan McKenna, Analyst bei Wells Fargo, vermutete im Gespräch mit Bloomberg, dass einige türkische Banken noch bestehende Lücken in den Kapitalkontrollen ausnutzten. Wie auch immer: Die Lira kehrte zunächst zu ihrem Peg bei 6,85 zurück.

USDTRYDaily

Panik im Devisenmarkt

Und in der Nacht zum Dienstag dieser Woche ging es richtig zur Sache: Als die Lira wieder nach unten driftete, hob die türkische Zentralbank genau wie im Frühjahr 2019 die Leihkosten für die Lira drastisch an. So zog der Satz für Lira overnight swap transactions in London von 6,8 Prozent am 29. Juli auf sagenhafte 1.024 Basispunkte am 04. August an. Bloomberg meldete unter Berufung auf zwei anonyme Trader, damit habe Ankara auf Verkäufe von Banken reagiert. Und de facto die Liquidität in der Lira ausgetrocknet. Wie der aktuelle Kursverfall zeigt, war die Aktion letztlich umsonst.

Die Chartanalyse setzt sich durch

Told you so: Schon vor Monaten hatten wir darauf hingewiesen, dass sich bei EURTYR und USDTYR eine gigantische Tasse-mit-Henkel-Formation ausbildet. Die wird laut den Basics der Chartanalyse normalerweise mit einer Seitwärtstendenz beendet und dann einem finalen Selloff abgeschlossen. Genau das könnte jetzt der Fall sein – the sky ist he limit.

Imperiale Politik in Ankara

Denn vermutlich sind nicht kurzfristige Short-Positionen der Grund für den Lira-Verfall. Sondern eine massive Kapitalflucht verschreckter Anleger. Die „Financial Times“ konstatierte jüngst, ausländische Investoren seien aus dem Land geflohen, sie hätten in den vergangenen zwölf Monaten große Volumina an Devisen aus heimischen Währungsanleihen abgezogen.
Vor wenigen Tagen hatten wir Sie vor der neo-imperialistischen Politik von Präsident Recep Tayip Erdogan und den Folgen für den Finanzmarkt gewarnt. Damit meinten wir nicht die Wiedereröffnung der Hagia Sofia in Istanbul als Moschee, welche das „Zeitalter der Unterbrechung“ beende – nächstes Ziel Jerusalem. Sondern die einseitige Ausdehnung der Seegrenzen im Mittelmeer. Der Türkei steht nach Lesart von Erdogan unter Wasser ein riesiges Gebiet zu, das den türkischen Festlandsockel fortsetzt. Leider umfasst diese „Mavi Vatan“, also die Blaue Heimat, auch einige griechische Inseln. Erdogan wollte jüngst in der vom Völkerrecht gedeckten griechischen Exclusive Economic Zone (EEZ) vor der Küste von Kreta nach Gas bohren. Und wurde in letzter Sekunde von der Europäischen Union und der NATO gestoppt. Auch die USA haben sich hinter Athen gestellt.

Wieviel Kriege will die Türkei?

Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Sollte die Türkei die Ansprüche durchsetzen, droht Krieg mit Griechenland. Die hellenische Marine macht derweil mobil, Medien wie Greekcitytimes.com riefen ihre Leser auf, keine Fotos von auslaufenden griechischen Kriegsschiffen in den Social Media zu posten. Zudem drohen Sanktionen Europas und Amerikas gegen die Türkei.
Auch ein Waffengang mit Zypern und Israel ist möglich – denn die zwei Staaten wollen zusammen mit Athen eine Gaspipeline an der südlichen kretischen Küste vorbei nach Italien bauen und würden damit das von der Türkei neu beanspruchte Gebiet kreuzen. Als ob das nicht genug wäre, engagiert sich die Türkei im libyschen Bürgerkrieg und ruft damit Ägypten auf den Plan. Weiter stehen türkische Truppen in Syrien.

Volle Kraft voraus in Richtung Staatsbankrott

Drei militärische Krisenherde auf einmal – das ist teuer für die Staatskasse; die Druckerpresse rotiert. Zumal der Devisenbringer Tourismus im Zuge der Corona-Krise weggebrochen ist. Das Ende vom Lied: Irgendwann werden der Türkei die Dollar-Reserven ausgehen, mit der die Lira gestützt wird. Zwar kann Ankara den einen oder anderen Shortie mit Strafaktionen wie der jüngsten plötzlichen Anhebung der Swap-Rate auslöschen. Doch angesichts der horrenden Außenpolitik ist anzunehmen, dass das Land unattraktiv für ausländische Investoren bleibt. Es sieht viel nach einem „Final Countdown“ aus.

Mögliche Hilfe von China

Und das könnte die Gemengelage für Trader und Investoren bedeuten: Möglicherweise beschafft sich die Türkei Kredit, beispielsweise in China. Peking dürfte sich im Gegenzug für eine große Dollar-Überweisung über den Zugang zu Mittelmeer-Häfen freuen. Dann dürfte die Lira anziehen. Wenn allerdings die mittelfristigen Belastungsfaktoren nicht beseitigt werden, sieht es düster aus für die Währung. Es ist schwer vorstellbar, dass der Griff nach Energiereserven in den Gewässern anderer Staaten erfolgreich sein wird.
Falls sich die Lage jedoch entspannt und die Türkei über Verhandlungen Zugang zu Öl und Gas erhält; oder falls die Türkei vernünftigerweise lieber die Energieförderung in unstrittig türkischen Gebieten im Schwarzen Meer aufnimmt, sprudeln neue Petrodollars und die Lira zieht an. Falls nicht, bedeuten drei Kriege auf einmal das Aus für die Devise. Und nebenbei noch bearishen Druck für die griechische und türkische Börse. Wir behalten die Angelegenheit für Sie im Blick – und wünschen erfolgreiche Trades und Investments!


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