Die Kehrseite der Retail-Rally

Technology trading

27.07.2020 –Special Report. Unerfahrene, aber zuletzt enorm erfolgreiche Day-Trader sind in den USA offenbar zu einem echten Börsenfaktor geworden. Interessanterweise kamen wohl auch Millionen von gelangweilten Zockern im Corona-Lockdown mit Aktien in Berührung. Das Problem: Die meisten Newcomer positionierten sich vor allem long. Was nun bei Profis für Stirnrunzeln sorgt.

Börsen-Boom mit Schlagseite

Mehrere Experten haben in den vergangenen Tagen Alarm geschlagen. Nach dem Muster „what goes up, must come down“, berichtete zum einen das Finanzblog ZeroHedge vor der neuen Masse an unerfahrenen und jungen Tradern. Über die App Robinhood könne jeder überall traden. Die Gebühren sinken und es ist ganz easy. Leider kennen demnach viele dieser Kids nur den Weg nach oben. Tatsächlich ist ein Großteil dieser Newcomer offenbar long positioniert: Jesse Felder, Finanzberater und freier Journalist, warnte schon Mitte Juni vor einem nie zuvor gesehenen Anstieg in der Google-Suche nach den Begriffen „Call Options“ und „Day Trading“.

Die Baby-Boomer verkaufen an ihre Kinder

Goldman Sachs hieb jüngst in die gleiche Kerbe. Tony Pasquariello, Leiter der Hedge Fund Sales, urteilte, es gebe bei den Retail-Investoren am Aktienmarkt inzwischen eine klare Alterstrennung. Die ältere Generation verkaufe en gros, meist über Indexfonds oder Investmentfonds. Die jüngere Generation dagegen trade auf der Long-Seite, als sei es wieder 1999. Und: Die jüngste Euphorie an der Börse könne durchaus noch ein wenig tragen. Das Dumme an der Sache, wie ZeroHedge assistierte: Die Baby-Boomer verkaufen die eigenen Aktien an ihre Kinder.

Trader-Teens

Schon Mitte Juni hatte das Blog CSInvesting mit einem Foto von drei Teenagern mit einer scheinbar unglaublichen Performance gemeldet, dass die Kids Hedge-Fonds-Manager in der Performance schlagen. Um dann unter der Zwischenüberschrift „Are you sure you know all this to become a day trader?“ einige ernstgemeinte Tipps nachzuschieben. Das Motto: Nur nicht übermütig werden. Tatsächlich registrierte Morgan Barna von Bloomberg vor einigen Wochen in einigen Tweets den erheblichen Anstieg des Handelsvolumens in den ersten beiden Quartalen 2020.

Immer wieder Dotcom-Blase

Jüngst zog das „Wall Street Journal“ nach mit dem Artikel „Everyone’s a Day Trader Now.“ Demnach hatten E-Trader alleine im März rund 261.000 Konten eröffnet. Bei Robinhood seien es 3 Millionen neue Accounts gewesen. Wir meinen: Respekt, perfektes Timing – das zweite Quartal für die Bullen eines der besten aller Zeiten. Jedoch warnte das WSJ, das erinnere alles sehr an den Dotcom-Boom Ende der 90er-Jahre. Im Markt seien nun mehr als doppelt so viele Retail-Anleger als sonst zu dieser Zeit. Wir hatten Ihnen an dieser Stelle schon diverse Crash-Warnungen präsentiert. Besonders bedenklich: Das Blatt zitierte arbeitslose Trader, welche die staatliche Stütze umgehend an der Börse investierten.

Kleine Einzelaktien sind problematisch

Zudem stellte das WSJ unter Berufung auf Barclays einen unangenehmen Trend fest: Je mehr sich die Neulinge auf eine spezifische Aktie konzentrierten, desto schlechter war die Performance. Ein Beispiel sei die Aktie von Ideanomics gewesen, die auf Twitter von einem pensionierten Polizisten gepusht worden war. Kurz nach der Anpreisung veröffentlichte der Short-Seller Hindenburg Research Betrugsvorwürfe und die Aktie stürzte in zwei Tagen um 21 und dann nochmal um 40 Prozent ab. Offenbar ein typischer Fall von Pump and Dump. Vor allem unerfahrene Anleger tappen in solche Fallen.

Die Lehren aus der Hausse

Das Fazit für uns aus alledem: Offenbar wurde die fulminante Erholung seit dem Corona-Crash auch durch viele neue, risikofreudige Retail-Anleger getragen. Wenn mehrere Experten mit dem Ohr am Markt vor jungen und unerfahrenen Zockern warnen, dann sollten wir uns die Blase am Neuen Markt vor Augen halten, die vor rund 20 Jahren kräftig Luft abließ.
Die neuen Anleger hatten zwar zuletzt auf das richtige Pferd gesetzt, denn die Notenbanken der Welt pumpen wegen Corona Unmengen an Geld in den Finanzmarkt. Dagegen ist nichts einzuwenden. Doch wer immer nur den Weg nach oben kennt, geht vielleicht zu sorglos vor und erkennt nicht die Zeichen der Zeit. Etwa Warnsignale aus der Behavioral Finance – beispielsweise, wenn Taxifahrer Ihnen ungefragt Börsentipps geben. Ein solches Zeichen sandte jüngst „Bild Online“ aus mit dem Artikel „Soll ich jetzt noch in die Börsenrallye einsteigen?“ Ergo: Sichern Sie sich ab. Vergessen Sie nicht, dass Sie auch auf der Short-Seite gutes Geld verdienen können.
Die Bernstein-Bank behält diese und andere Entwicklungen für Sie im Auge – und wünscht erfolgreiche Trades und Investments!


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